"Malen wir das Naheliegende, unsere Stadt-Welt! Die tumultuarischen Straßen, die Eleganz eiserner Hängebrücken, die Gasometer, welche in weißen Wolkengebirgen hängen, die Koloristik der Autobusse und Schnellzuglokomotiven, die wogenden Telephondrähte ..., und dann die Nacht ... die Großstadt-Nacht." Dieses Zitat aus dem Jahre 1914 stammt von Ludwig Meidner (1884-1966), dem Expressionisten, der sich — bei den Nazis verfemt — nach dem Krieg in Hofheim am Taunus niedergelassen hat und dem 1991 auf der Darmstädter Mathildenhöhe eine große Retrospektive gewidmet war. "Malen wir das Naheliegende" — diesen Grundsatz können wir auf Alois Funk, dessen Malerei uns heute zusammengeführt hat, anwenden. Er ist gelernter Architekt und von Anfang an gewohnt, mit dem Zeichenstift umzugehen. Während seines Studiums belegte er darüber hinaus Seminare bei dem bekannten Darmstädter Bildhauer Waldemar Grzimek sowie Aquarellmalerei bei Bruno Müller-Linow. Die Aquarelle und Gouachen von Müller-Linow nehmen in der Darmstädter Kunst des 20. Jahrhunderts m.E. eine besondere Stellung ein. Ich hatte selbst — ich darf dies persönlich anmerken — in meiner Zeit am Landesmuseum in Darmstadt tagtäglich das Vergnügen, Arbeiten von ihm zu bestaunen. Im Hause seines Sohnes befand sich meine vorübergehende Bleibe. Alois Funk hat erfolgreich als Architekt gewirkt, im Jahre 2007 aber die Architektur aufgegeben und sich ganz der Malerei verschrieben. Übrigens, ein Beispiel seiner Architektentätigkeit ist in Gestalt des Frankfurter Hofes in der Mainzer Augustinerstr. zu betrachten. „Malen wir das Naheliegende....“: die Vielfalt seiner Themen scheint diesen Ansatz tatsächlich widerzuspiegeln und damit eine Haltung, die einem künstlerischen Grundantrieb folgt. Neu- und wissbegierig geht der Maler dabei den visuellen Geheimnissen der Dinge, die uns tagtäglich umgeben, auf die Spur und gibt ihnen mit dem eigenen künstlerischen Duktus ein neues, individuell geprägtes Erscheinungsbild. Er rezipiert die Welt um ihn herum und schafft sie bildnerisch neu – das Grundmuster eines schöpferischen Prozesses. Der Philosoph Hegel hat ja darauf verwiesen, dass der Mensch erst durch die Arbeit zum Menschen, zum Kulturwesen wird, indem er eben den Dingen mit physischen wie geistigen Mitteln eine neue Gestalt verleiht – nichts anderes passiert bei der Kunst. Der Maler setzt dabei Farbe und Form ein, hebt hervor, interpretiert und kommt dabei ggf. zu neuen Aussagen über die Dinge oder den Kontext, in dem sie stehen.
Eröffnungsrede von Jürgen Volkmann,
Leiter des Stadtmuseums Groß-Gerau,
zur Vernissage am 17.08.2010